#1-1 #1-2 #1-3
#2-1

Deutschland-Bilder
Franka Kaßners Werk in der Lothringer13

Münchner Merkur, Kultur, 19.06.2006

„Deutschlandromantik“ – nein, mit nationaler Verherrlichung hat das nichts zu tun. Auch wenn ein paar heroische Malerei- und Architekturzitate, wenn Flagge und Volkslieder durch diese Ausstellung geistern, es geht hier um etwas ganz anderes. Es geht um Klischees und Realität, es geht um eine schwierige Identität. Zum Bild von Deutschland gehören Nationalsozialismus und geteiltes Land, Schuldgefühle und politischer sowie sozialer Wiederaufbau. Nicht einen dieser Baustein kann und will Franka Kaßner leugnen. Im Gegenteil: Sie formt damit ein bildhauerisches Selbstporträt, das in seiner ganzen Wucht in der Lothringer13 auf die Münchner Besucher einwirkt.

Mit dieser groß angelegten Installation widerlegt Kaßner vor allem ein Vorurteil gegenüber der Generation um die 30: Von Spaßgesellschaft und politischem Desinteresse kann hier nicht die Rede sein. Zwar gibt die Absolventin der Münchner Kunstakademie keine Statements zur aktuellen eigenen Position, wohl aber zum Verarbeiten von Geschichte. Versuchen wir das zuerst in der Karaoke-Bar: Megafon vor rotem Faltenstoff mit Silberadler – als Vorgabe dient das „Stempellied“ über die Wertlosigkeit der Arbeitslosen. Politpropaganda, Hartz IV, Diktatorenruhm und soziales Elend werden auf einen populären Nenner gebracht. Weiter geht’s dann ins „Freizeitheim eines Diktators“: Ein alter Erb-Sessel, eine orthopädische Lederschiene für die geballte Macht- und auch Revoluzzerfaust, ein militärisch grüner Boden mit spießiger Sockelleiste verkörpern hier die Schizophrenie von Politik und Privatem.

„Wenn Mutti früh zur Arbeit geht“: So schallt es wenige Meter weiter. Bombastische Architektur für Aufmärsche, Eiche und ein bösartig verändertes Kinderlied zeigen, wie in der DDR die Familie instrumentalisiert wurde. Unter diesem Prachtbau eines scheinbar glorreichen Staates windet sich auf dem Video die Mutter im Tarnanzug und stiehlt sich aus dem Heim davon. Kaßner schont weder die Vergangenheit der Großeltern noch der Eltern, sie stellt vielmehr kollektives Fehlverhalten und Schuld zur Disposition – in einem trügerisch perfekten Rahmen. Es ist eine Anklage an die politische Wirklichkeit, ein Sezieren der eigenen Lebensumstände und zugleich ein Aufruf für sensiblere Wahrnehmung. Das beste dabei: Statt müder Predigten überwiegt die Schaulust.

Freia Oliv

Jubeldesign mit Kleinbürgeridylle
Franke Kaßners „Deutschlandromantik“ in der Lothringer13

Süddeutsche Zeitung, Münchner Kultur, 08.06.2006

Endlich hat auch München eine Kunsthalle und musste dafür keinen Cent ausgeben. Die neue Kuratorin Uli Aigner in der Lothringer13 hat nicht nur Keller und ersten Stock freigeräumt und so die Ausstellungsfläche auf 900 Quadratmeter vergrößert, sondern auch die ehemalige Künstlerwerkstatt in „Städtische Kunsthalle“ umbenannt. Damit hofft sie, ein größeres Publikum anzulocken, was ihr mit ihrem ersten Projekt, der Präsentation des Films „Just Like the Movies“ von Michal Kosakowski, geglückt ist. Sehr zu wünschen ist das auch für die Austellung „Deutschlandromantik“ von Franke Kaßner, die als kritischer Kommentar zur aktuellen Patriotismus-Debatte gesehen werden könnte, wenn sich Kaßner nicht schon viel länger mit der Frage beschäftigt hätte, was es bedeutet, eine Deutsche zu sein. Aufgewachsen in der DDR, begann sie 2000 an der Münchner Akademie ein Studium bei Olaf Metzel, das sie im letzten Jahr mit dem Diplom abschloss. Damit passt sie gut in das Konzept von Uli Aigner, die sich um das Kapital kümmern will, das die Akademie für München bedeutet.

Ausgangspunkt für Kaßners künstlerische Arbeit ist die enge Verknüpfung von deutsche Vergangenheit in Gestalt von Nationalsozialismus und Sozialismus à la DDR und der Gegenwart, die ihr in der Eltern- und Großelterngeneration begegnet. Nicht vergessen hat sie, wie sie kurz vor der Wende als Zwölfjährige ihren Eltern verübelte, dass sie gegen die DDR demonstriert hatten. Zum Ausdruck kommt das in der zentralen Arbeit der Ausstellung: „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht“. Der Titel ist einem DDR-Kinderlied entliehen, das Kaßner umformuliert hat. Statt der im Original besungenen Schürze macht sie sich eine Uniform und marschiert ums Haus. Zum Essenkochen ist sie noch zu klein, aber demonstrieren kann sie schon. Dieses Liedchen, mit hoher Kinderstimme gesungen, erklingt über einer riesigen, fast leeren Aufmarschbühne, die Kaßner frei nach sozialistischen Vorbildern entworfen und gebaut hat, in der sich Jubeldesign mit miefiger Kleinbürgeridylle mischen. In der Phantasie füllt man den Raum mit Honecker und Konsorten.

Im Keller darunter zeigt Kaßner dann ein Video, in dem ein Häufchen Elend im Tarnanzug durch eine menschenleere Gasse kriecht. Eine Regimegegner? Kaßner hat also die nicht unkomplizierten Räumlichkeiten gut in den Griff bekommen. Ihre künstlerische Arbeit ist vom Ansatz her so ernsthaft wie geglückt in der Ausführung. Damit ist diese Ausstellung ein Versprechen für die Zukunft.

Hanne Weskott

Franka Kaßner „Deutschlandromatik“
Lothringer13, Städtische Kunsthalle München, 09.06.–10.09.2006

Kunstforum International, Bd. 182, Oktober–November 2006

Seit zu Beginn dieses Jahres Uli Aigner die Leitung der „Lothriger Straße 13“ übernommen hat, verfügt München plötzlich und unerwartet über eine eigene Kunsthalle: Mit einem nominalistischen Coup erklärte Aigner die „Künstlerwerkstatt Lothringer 13“ zur „Lothringer13, Städtische Kunsthalle München“. Am alten Namen haftete die auf Experiment und unvermittelte Autorenschaft zielende Programmatik der siebziger Jahre. Das dezidierte Experimentelle hatte sich bereits in den Achtzigern, als die Lothringer Straße eingerichtet wurde, weitgehend erschöpft und auktoriale Unmittelbarkeit wurde zunehmend durch kuratorische Vermittlung überlagert – seit 1998 leiten Kuratoren die „Künstlerwerkstatt“. Mit Uli Aigner ist nun der seltene Fall eingetreten, dass die Betreuung einer offiziellen Kunstinstitution an eine Künstlerin überantwortet wird.

Entsprechend ihrer nominalistischen Aufwertung der Institution, behandelt Aigner die ehemaligen Fabrikräume keineswegs nur als ein Verlegenheitsmuseum. Die ersten, von ihr in initiierten Ausstellungen akzeptieren die bestehende Architektur als unzulänglichen White-Cube, sie lassen Leere zu und schaffen damit kommunikativen Raum für die Besucher. Der Schwerpunkt von Aigners Programm liegt auf der Kunst junger Künstler/innen insbesondere, aber keineswegs ausschließlich, aus dem Münchner Umfeld. Ihnen vertraut sie erste große Einzelausstellungen an, die nicht zuletzt aufgrund von 600 Quadratmetern Ausstellungsfläche zur ernsthaften Herausforderung werden.

Dieser Herausforderung wird gegenwärtig Franka Kaßner – im vergangenen Jahr beendete sie ihr Studium an der Münchner Akademie – mehr als gerecht: Es gibt in der Geschichte der Lothringer Straße wohl kaum eine Ausstellung, die gleichermaßen souverän und präzise mit dem räumlichen Gegebenheiten arbeitet. Kaßner überlagert den Ort mit seinen an die ehemalige Werkzeugfabrik erinnernden Spuren mit der Erinnerung an den untergegangenen deutschen Staat, der das Wohl der Arbeiterschaft als Ideologie vor sich hertrug. So betrachtet handelt es sich um eine Art von doppelter Ruinenausstellung, wobei der Ruine hier in romantischer Tradition ein, jenseits rational konstatierbarer Zerstörung, emotionales Sediment eingelagert ist.

Unter dem Titel „Deutschlandromantik“ befasst sich die 1976 im ostdeutschen Oschatz geborene Künstlerin mit der DDR und ihrer Kindheit. Zwangsläufig blendet der Blick in die Vergangenheit gegenwärtige Fragen aus nach dem softem WM-Nationalismus und Militarisierung, nach der Stellung des Nationalen im konsumistischen, mediatisierten und terror-hysterisierten Globalismus. Fragen ließe sich, ob Deutschland als Bezugsrahmen nicht zwangsläufig die Hypostasierung des Nationalen nach sich zieht. Doch unabhängig davon: Kaßners Rückblick produziert ein Spannungsfeld zwischen äußerer Macht und persönlicher Innenwelt, das sich auch mit aktuellen Parametern besetzen lässt. Beachtenswert ist, dass sie nicht dem kursierenden „wie-komisch-bis-heimelig-erscheint-nun-doch-die-DDR“ verfällt, dass sie sich – ganz im Gegensatz etwa zum markttechnischen Einsatz des Labels „Leibziger Maler“ – der Vergangenheit sentimental und kritisch, persönlich und politisch stellt.

Wer den Hauptraum der Ausstellung betritt, hat den Eindruck Kaßners ausladende Installation sei schon immer hier gewesen und reiche inzwischen zwecklos aus der Vergangenheit hinüber in die Gegenwart. Eine Balustrade aus imitierter Eiche und dem Charme deutsch-rustikaler Kellerbars grenzt einen nicht betretbaren Bezirk ab, eine Art Bühne für politische Propagandisten, eine Art Chorraum für die Chorleute der Macht und absolutistische Selbstdarsteller. Die Wand im Hintergrund dekoriert eine Strahlenkranzdrapee nach dem Muster „aufgehende Sonne“. Die Trägerstele im Zentrum ist ihrer Insignien beraubt und ragt, wie die gesamte Installation, als rhetorische Hohlform in die Höhe. Ab und zu erklingt ein Lied: Kaßner singt mit kindlicher Stimme „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht“, eines der populärsten Kinderlieder der DDR. Einige Liedzeilen verändert sie, so dass nun das, was ihr einmal kindliche Heimat war, in seiner fatale Verschränkung von Naivität und Politik auch als Propaganda lesbar wird. Im Keller der Lothringer Straße, unter der offiziellen Bühne, ruht und robbt in der Videoinstallation „revosau schläft“ eine subversive Gestalt in endloser Wiederholung durch den Untergrund. In der einstigen Meisterkabine richtete Kaßner das „Freizeitheim eines Diktators“ ein: Ein eichener Lehnstuhl ohne Rückenpolster changiert zwischen Wohnmöbel und elektrischem Stuhl, zwischen Bequemlichkeit und Brutalität. Auf der Armlehne platziert Kaßner eine mit Blümchenmuster zart dekoriertes Lederfaustfutteral, eine orthopädische Stütze, mit deren Hilfe, der sozialistische Gruß auch in der Freizeit dauerhaft dem widerständigen Körper eingeformt werden kann.

Als Körperfragment und sozialistisches Relikt ähnelt die Faust einer Ruine. Die Ruine steht dann auch im thematischen Zentrum der Installationsbox „Deutschlandromantik I“. Auf einer Tapete geht er von Caspar David Friedrich gemalte Kreidefelsen auf Rügen über in das Schwarz-Rot-Gold der deutschen Flagge – davor ein kollabiertes Baugerüst. Dem leeren Redner- und Karaokepult mit Bundesadler mit Hammerkopf steht im Video die Körperrealität eines einst in der DDR beheimateten Bürgers gegenüber. Im Hintergrund spielt das zum Rauschen verkommene „Stempellied (Lied der Arbeitslosen)“. Die Installationsbox ist romantisch: Ort der Herrschaft und der Beherrschten, Ort zerstörter Hoffnung.

Heinz Schütz

Franka Kaßner „Deutschlandromatik“

In München, Ausstellungen, Nr. 15, 2006

Mit einer sehr eigenwilligen Rückblende auf jüngste deutsche Geschichte präsentiert sich Franka Kaßner in der Lothringer13. Unter dem Titel „Deutschlandromantik“ ist hier erstmalig eine Zusammenschau mehrere großformatiger Arbeiten der vielversprechenden Metzel-Schülerin zu sehen. Im Mittelpunkt steht eine Bühneninstallation, die protzig ihren Machtanspruch im Raum geltend macht und gleichzeitig die billige Fassade aus gerafftem Stoff und aufgemalten Funier preis gibt. Eine im Text verschärfte Version des DDR-Kinderliedes „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht“ begleitet die Szenerie akustisch. Unmittelbar darunter, im Kellerraum, das Innenleben, die Kehrseite dieser Inszenierung. In der Videoarbeit „revosau schläft“ müht sich ein gesichtsloser Mensch in der Umrundung seines kerkerartig eng bemessenen Lebensraumes ab. Auch in den übrigen Arbeiten lässt sie Versatzstücke von Geschichte, öffentlicher Machtdemonstration und einige biographische Fragmente in ebenso beklemmender wie überzeugender Weise aufeinanderprallen. Ein Ausstellungshighlight, das am 20.7. von einer Führung und am 25.7. von einem Diavortrag begleitet wird. Dr. Susanne Gaensheimer, Kuratorin für Gegenwartskunst im Lenbachhaus, spricht über Isa Genzken, die ihre künstlerische Position ebenfalls in der Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte formuliert.

Galerie Christine Mayer: Franka Kaßner

Applaus, Kultur-Magazin, Juni 2007

Bei dem Wort „Wohnhaft“ hat man den schnarrenden Ton einer Amtsperson im Ohr. Lässt jemand sich dieses Wort aber gewissermaßen auf der Zunge zergehen, entschlüsselt es sich einem auch als eine rhetorische Figur. Gemeint ist hier das Oxymoron, also die Verbindung zweier sich widersprechender Begriffe. Franka Kaßner gibt ihrer Installation diesen Titel. Manche Wohnung mag man auch als eine Art Gefängnis auffassen, üblicherweise steht aber der Wohnung als Raum privater Geborgenheit die Gefängniszelle als Örtlichkeit öffentlicher Bestrafung entgegen. Bestimmendes Element dieser Rauminstallation ist eine Rednerkanzel. Der innenarchitektonische Eingriff der 1976 im sächsischen Oschatz geborenen Künstlerin wirkt als Barriere. Er teilt den öffentlichen von einem privaten Bereich ab. Den oberen „privaten“ Raum hat die Olaf-Metzel-Schülerin mit grauen Wandbespannungen ausgekleidet, wie man sie in früheren Zeiten in Kinosälen erleben konnte. Das Öffentliche und das Private finden sich hier formal ausgetauscht. Ein Videoscreen, eine Pritsche und ein Spannplattengebilde dienen als Basismöblierung. Wie verbindet die Raumkünstlerin nun aber die beiden Sphären? Ein Medium der Gemeinsamkeit ist das gute alte Tafelbild, freilich in seiner zeitgemäßen dekonstruierten Erscheinungsform. Als ein zweites Medium des Überganges funktioniert die Kanzel, die man vom Privatraum aus als Öffnung betritt. Die imaginierte Rede, die jemand von hier aus hält, oder die unten gesungene Kanzone, der hier gelauscht wird: Die Rhetorik der Rede oder des Liedes – Romeo und Julia lassen grüßen – bewirkt die Transformation und wechselweise Durchdringung beider Bereiche.

#2-3
#3-1 #3-2 #3-3
#1-1 #1-2 #1-3
#2-1
#2-3
#3-1 #3-2 #3-3
#1-1 #1-2 #1-3
#2-1
© Lothringer13, Städtische Kunsthalle München
#2-3
#3-1 #3-2 #3-3