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Kneifen zwecklos
Werke von Karin Felbermayr in der Lothringer13

Münchner Merkur, Kultur, 13.12.2006

Fünf Akte lang Posen. Eine Frau balanciert auf Holzklötzchen statt auf Stöckelschuhen und wechselt nur die Haartracht, nicht die Kleidung. Dennoch vermitteln die Posen eindeutig männliches und weibliches Rollenspiel von Models. Für einen Augenblick wird eine Haltung im Scheinwerferlicht inszeniert und mit der Videokamera zu einer Spiegelung der Perfektion verdoppelt. Nur um sogleich wieder zu zerrinnen, schnelllebig wie das Glück beim Kartenspiel.

Karin Felbermayr hat mit ihrem Video in der Lothringer13 ein vielschichtiges Thema angerissen: Ideale, ihre Stilisierung und ihre Zerstörung sind ein Brennpunkt. Der zweite ist die Geschlechterfrage, die weit über eine reine Körperlichkeit hinaus zum Sozialen reicht. Das dritte Thema ist die Wirkung von Körper und Rau. Diese anspruchvollen Metiers kann man ganz lässig erwandern: inmitten von packenden Zeichnungen und zarten Leinwänden, in der Bar oder eben im Film. Das schnittige Video „Gender Gamble“ betrachtet man am besten von weit hinten: In der Bar sitzt man in einer weißen Box, illuminiert mit rötlichem Neonlicht, der Blick durch die Fenster scheint unendlich weit. Das blaue Licht draußen lässt die Gedanken über männliches und weibliches Verhalten vom Tresen ins Unendliche schweifen. Die Faszination Bluebox ist auch im Kabinett thematisiert: Ein blauer Spezialanzug als Projektionsfläche ließe jede Identität zu, die man ausprobieren möchte. Auch die großen Leinwände mitten im Saal lassen viel Gedankenfreiheit: Rückseitig ein Schattiereungszyklus über grau bis schwarz, sind die Bilder von vorne weiße, dezente Sichtblockaden. Man muss sich schon bewegen, um auch alle Tuschebilder an den Wänden wahrnehmen zu können.

Comicartig wirken die flächigen, reduzierten Figuren, die an Verrenkungen, in seltsamen Tänzen nur Füße und Augen zu sein scheinen. Die zentrale Frage (Was ist und kann der Körper, was nehmen wir wahr) wird einem förmlich entgegengeschleudert. Kneifen unmöglich.

Freia Oliv

Ansichtssache
Starke Frauen

In München, Ausstellungen, 21.12.2006

(…) Dass Geschlechtszuordnung längst nicht mehr nur eine Frage von anatomischen Fakten ist, ist auch Ausgangspunkt für die Position von Karin Felbermayr. Souverän bespielt sie die Ausstellungshalle in der Lothringer13 unter dem Titel „Stereotype as a Masquerade“ mit drei Installationen. In atemberaubender Geschwindigkeit wirft sie sich in der Videoperformance „Gender Gamble“ in die Posen weiblicher und männlicher Modells der Modewerbung. Eilig in Position gebrachte Holzklötze ersetzen die High-Heels, die kuriosen körperlichen Verdrehungen ermöglichen. Für Sekundenbruchteile wird das gefundene Image wie zu einer Spielkarte gedoppelt und schon nimmt die De-Maskerade mit ihren Hilfsmitteln und dem gemeinhin nicht sichtbaren Gekruschtel Anlauf zum nächsten Shot. Packend weiß sie auch die Performance der Besucher zu inszenieren. Die von Stefan Eberstadt für den Ausstellungsort konzipierte mobile Bar verwandelt sie in eine Aussichtsplatform, deren Fensteröffnungen zur Bluebox werden. Indem Papierobjekte zunächst den Blick verstellen, vermag sie ihre großformatigen Tuschezeichnungen brillant in der großen Halle zu inszenieren. Unweigerlich verstrickt sie den Betrachter in die Frage, wo hier eigentlich hinten und vorne ist und unversehens ist man in dieser unbedingt sehenswerten Präsentation gefangen. Auch hier sollte man die Begleitveranstaltungen – mit einem Vortrag am 18. Januar und einer PoetryPerformance am 20. Januar – schon mal vormerken.

Dörthe Bäumer

Spiderwoman lädt zum Spiel
Karin Felbermayrs Ausstellung „Gender Gamble“ in der Kunsthalle

Abendzeitung, Kultur, 04.01.2007

Spiderman liegt auf dem Boden und betrachtet ziemlich kritisch seinen großen Zeh. Was denkt er? Was denkt sie? Bei dem Superhelden kann es sich ebenso gut um eine Heldin handeln, die die zehn großformatigen, Schwarz-Weiß-Bilder in ungewöhnlichen Posen bevölkert. Wie „Mask“ berühren alle Kunstwerke in Karin Felbermayrs Ausstellung „Gender Gamble“ die Geschlechterfrage: Was ist männlich, was weiblich? Gibt es ein Dazwischen? „Joker“ ist eine Spiderwomanpuppe ganz in Blau; statt Augen besitzt sie Spiegel. Aus der richtigen Perspektive betrachtet, fügen sich deshalb die eigenen Augen in dieses fremde, weibliche Gesicht – ein spannendes Experiment. Felbermayrs Videoprojektion dagegen, die der Ausstellung in der Kunsthalle Lothringer13 den Titel gibt, scheint das Thema ziemlich plakativ abzuhandeln: Die Künstlerin wirft sich in einer Werkstattumgebung mit einfachen Mitteln in männliche und weibliche Werbeposen. Spannend ist der Umgang mit dem Material: Für Sekunden werden diese Figuren gespiegelt, so dass sich Spielkartenmotive mit perfektem Rahmen ergeben. Aus der Blue-Box durch einen weiteren Rahmen gesehen, erscheint die Projektion dreidimensional und real. Das Video wird zugleich zum traditionellen Bild an der Wand. Derart ironisch sind alle Objekte der 30-jährigen Künstlerin, etwa „Link“ mit seinem Spiel mit der Dredimensionalität, die sich ohne weiteres auch gendertheoretisch interpretieren lassen. Dafür steht eine ganze Bibliothek nebst Leseecke bereit. Die Objekte lassen sich aber auch als amüsante Kommentare zu Kunstbetrieb und Superhelden wahrnehmen.

Georg Kasch

Im Grenzgebiet
Die Ausstellung „Gender Gamble“ in der Lothringer13

Süddeutsche Zeitung, Münchner Kultur, 02.01.2007

Ob man als Mann oder Frau geboren wird, hat – wie wir alle wissen – einen entscheidenden Einfluss auf das spätere Leben: Schon als Kind werden geschlechterspezifische Verhaltensweisen eingeübt und durch die Umgebung bestätigt. Trotz vehementer Kritik an der gesellschaftlichen Rollenzuweisung bleibt das System der Zweigeschlechtlichkeit bei uns erhalten. Ein Dazwischen gibt es nicht – selbst transsexuelle Menschen müssen sich irgendwann einmal entscheiden, ob sie nun als Mann oder Frau leben wollen.

In ihrer Ausstellung „Gender Gamble“ in der Lothringer13 wirbelt Karin Felbermayr geschlechterspezifische Zuschreibungen und Rollenmuster kräftig durcheinander. Was wäre, wenn wir uns in einer Art Blue Box befinden würden, in der alles möglich ist? Ein idealer Ort, um über diese Frage nachzudenken, ist die mobile Bar des Künstlers Stefan Eberstadt, die Karin Felbermayr an das Ende eines in blau getauchten Ganges platziert hat. Beim Blick aus den Fenstern scheinen die Raumgrenzen zu verschwinden.

Von dort aus hat man eine wunderbare Sicht auf ihr gleichnamiges Video „Gender Gamble“. Darin probiert die Künstlerin in einer Art Laborversuch männliche und weibliche Posen aus der Modefotografie aus. Bauch rein, Brust raus, Kopf in den Nacken und die Lippen geschürzt – mit Leichtigkeit wirbelt die Künstlerin auf dem Set herum, wechselt von der blonden zur braunen Perücke und verwendet Holzklötze, um die verführerische Haltung eines weiblichen Körpers auf Highheels nachzuempfinden. Als Fotostudio dient ihr ein selbst zusammengezimmerter und mit Packpapier bezogener Holzverschlag; die Inszenierungsstrategien der Hochglanzmagazine werden mit dem Blick hinter die Kulissen offen gelegt. Ein bisschen unheimlich wird es dann in dem großen zentralen Raum der Lothringer13: Aus der ehemaligen Pförtnerloge schaut uns eine in einen blauen Anzug gehüllte Figur mit spiegelglänzenden Augen an. Sie erinnert an Spiderman oder Superman, an eben jene Figuren im Spielfilm, die in eine andere Rolle schlüpfen, um die Welt zu retten. Felbermayrs Figur ist hingegen weiblich.

Die Künstlerin hat sich den Anzug selbst auf den Leib geschneidert. Bei Filmaufnahmen in einer Bluebox wäre sie damit unsichtbar. Das Verschwinden von Körpergrenzen thematisiert Felbermayr dann noch einmal in einem monumentalen Zyklus von Tuschezeichnungen, in denen eine geschlechtsneutrale Person in einem schwarzen Ganzkörperanzug agiert.

Insgesamt präsentiert sich die Ausstellung in ihrer lockerer Folge wie eine Versuchsanordnung, in der sich der Betrachter selbst seinen Standpunkt suchen muss. Auch Felbermayrs Arbeiten selbst sind bewusst offen gehalten und lassen eine Vielzahl unterschiedlicher Interpretationsmöglichkeiten zu. Das jedoch birgt die Gefahr der Beliebigkeit.

Eigentlich schade, denn Felbermayr hat sich in ihrer Arbeit auch theoretisch mit Körperkonzepten auseinandergesetzt. Gern hätte man mehr darüber erfahren, wie die Künstlerin als Spiderwoman im geschlechtsneutralen Raum agiert.

Cornelia Gockel

Click-Clack
Wir tauschen Körper: Zum Kunst-Buch „Stereotype as a Masquerade“ der Künstlerin Karin Felbermayr

literaturkritik.de, Nr. 6, Juni 2007

„Gender Gamble“ hieß eine Ausstellung der Künstlerin Karin Felbermayr, Jahrgang 1976, zum Jahreswechsel 2006/07 in der Städtischen Kunsthalle München. Neben einer Serie von Tuschezeichnungen gab es drei Videoinstallationen zu den Themen „Geschlechtlichkeit“ und „Körper“ zu sehen, darunter das Herzstück der Ausstellung „Gender Gamble“. Die SZ schrieb in ihrer Ausstellungsbesprechung über dieses Video: „Darin probiert die Künstlerin in einer Art Laborversuch männliche und weibliche Posen aus der Modefotografie aus. Bauch rein, Brust raus, Kopf in den Nacken und die Lippen geschürzt – mit Leichtigkeit wirbelt die Künstlerin auf dem Set herum, wechselt von der blonden zur braunen Perücke und verwendet Holzklötze, um die verführerische Haltung eines weiblichen Körpers auf Highheels nachzuempfinden. Als Fotostudio dient ihr ein selbst zusammengezimmerter und mit Packpapier bezogener Holzverschlag; die Inszenierungsstrategien der Hochglanzmagazine werden mit dem Blick hinter die Kulissen offen gelegt.“ Parallel zur Münchner Ausstellung ist im Berliner Verbrecher Verlag die Broschur „Stereotype as a Masquerade“ als Begleitbuch erschienen.

Naturgemäß schwer tut sich ein Begleitbuch, das die künstlerischen Aktivitäten einer Video- und Performancekünstlerin abbilden möchte. Es ist doch ein großer Unterschied, ob man vor Ort eine Installation auf sich wirken lässt oder – a posteriori beziehungsweise in Unkenntnis der Ausstellung – sich in einem Buch darauf einzulassen versucht. Wie könnte das also „in echt“ ausgesehen haben? Gerade aus diesem Grund ist „Stereotype as a Masquerade“ ein rundes, schönes Kunst-Buch geworden. Denn das Buch inszeniert eine Ausstellung, die wiederum auf Körper-Inszenierungen aufmerksam machen wollte. Das ganze als englische Broschur, auf blauem Hintergrund „Click“ auf dem Vor- und „Clack“ auf dem Nachsatz. Mit Stills aus dem Video, knappen Kommentaren und Zitaten, einigen Tuschezeichnungen und Performance-Bildern kann man sich mehr als einen ersten Eindruck verschaffen. Zwei exklusive Textbeiträge sorgen für Tiefenschärfe. Der Soziologe Michael Meuser schreibt über „Geschlechtskörper – Materialität und Konstruktion“ und die chinesische Ärztin Yanping Wu über die „Sicht der chinesischen Medizin auf den Körper“. Und auf der Seite 84 stößt man links neben der Biograpfie und dem Werksverzeichnis auf ein irritierendes Foto der Künstlerin: Karin Felbermayr, das Gesicht nach unten gewandt, konzentriert, zieht sich eine schwarze Jeans an, deutlich ist ein Batman-Slip zu erkennen, und unter der weißen Bluse erahnt man das dazugehörige Batman-Shirt. Eine perfekte, ambivalent-ironische Selbstinszenierung, die an Cindy Sherman erinnert.

Der Musiker und Maler Captain Beefheart (aka Don Vliet), eine Ikone der Avantgarde, kennt sich aus mit Maskeraden. Auf seinem sperrigen Doppel-LP-Meisterwerk „Trout Mask Replica“ aus dem Jahr 1969 hat er auf dem Cover eine Forelle im Gesicht. Die Hand zum Gruß erhoben – oder zur Abwehr vor Fledermäusen? Drei Jahre später steht er auf dem Bahnsteig und singt im Song „Click Clack“: „The train was leavin’ / I could see you wavin’ your handkerchief“. Man sollte davon ausgehen, dass Karin Felbermayr auch im Zug sitzt. Ob sie sentimentale Anwandlungen zeigt und mit ihrem Taschentuch den Zurückgebliebenen winkt, weiß nur die Zukunft.

Mario Alexander Weber

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© Lothringer13, Städtische Kunsthalle München
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