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Auf den Spuren der Satansjünger
Lothringer13: Unglaublicher Mix aus Theater, Musik und Kunst

Münchner Merkur, Kultur, 07.10.2006

Die Musik: extrem rhythmisch oder hart. Die Installationen: Filme zum Satanismus, Sezierung des Schwertfisches oder Kabinette zu Alltag und Oberfläche. Die Künstler: drei Männer der 30er-Generation, die einen unglaublichen Mix aus Theater, Musik, bildender und Medienkunst inszenieren. Unter dem Label „Interesting Productions“ arbeiten sie mit einem Stab an Künstlern und Musikern zusammen, die sich zuletzt eine Woche lang in Münchens Lothringer13 austoben durften. Die Ausstellung soll nun allerdings mehr sein als Dokumentation einer verrückten und inspirierenden Woche. Sie soll zeigen, was junge Kunst heute will: von einer schrillen Oberfläche zum schwarzen Kern vordringen, vom subjektiven zur Gesellschaftsanalyse. Wer sich einfühlen möchte, braucht starke Nerven, eine grundsätzliche Neugier und Aufgeschlossenheit und vor allem den treibenden Rhythmus einer arbeitsorientierten Generation, die hinter Pop und Trash ihre eigene Sprache gefunden hat.

„The Redesign of Satanism“ läuft auf einer großen Leinwand. Die Grundsatzgedanken zum Satanismus sind dramaturgisch aufgebaut wie ein abstruser Gottesdienst, wo sich gewaltvolle und philosophische Sequenzen abwechseln. Zerschlagene Farbbeutel und Texte von Sartre und Baudelaire fokussieren die Geistlosigkeit und Ziellosigkeit der Welt. Satanismus, ursprünglich Grund für Ausgrenzung, dient heutzutage schon fast als Rechtfertigung für Abnormitäten. Derartige Beobachtungen, genauso über die Ersatzreligion Sport, werden in rhythmischen Sequenzen geschnitten von dem Münchner Tobias Yves Zintel, der schon bei den Kammerspielen und im Lernbachhaus tätig war und 1999 das tourette-tv gründete. Die Musik ist das Werk von von Murena, der seine Experimente bisher im Volkstheater, im Atomic Café und im Haus der Kunst aufführte.

Murenas zwölf Plattenspieler mit Dubplates, also eingeschnittenen, einseitigen LPs, stehen dem Betrachter genauso zur Verfügung wie der Aufbau zwischen Fischernetzen und Himmelbett. Was Murena selbst bei seinen Performances daraus macht, ist eine Mischung aus Jammern und Schreien, aus Gitarrensound und Beat. Zitierte Stilelemente verbinden sich dabeizu einem hartan Post-Pop.

Generell kann man sagen: Den Künstlern ist für ihre Collagen nichts und alles heilig. Bo Christian Larsson, der in München auch im Haus der Kunst und in den Kammerspielen agierte, konfrontiert in diesem Sinne mit seiner Installation „supergone“. Die Weiterentwicklung des Pentagons liefert beleuchtbare Räume, die Alltagsoberflächen wie alte Flaschen, Glitter für die Drogenwelt und mieseste Charaktere zum Thema haben. Verhüllt in Plastikplanen entsteht in der Lothringer13 so fast eine Mystik der Gegenwart.

Freia Oliv

Blutrausch im Schneemannsland
Eine neue Gruppenschau in der Lothringer13

Süddeutsche Zeitung, Münchner Kultur, 14.10.2006

Außer Rand und Band schlägt der der Kapuzenmann mit seinem Baseballschläger auf die Wände eines Schneepfads ein. Mit jedem Schlag spritzt dunkelroter Saft hervor. Blutrausch im Schneemannsland. Eine Szene weiter sieht man ein vermummtes Trio im Endlosloop eine Straße entlanghetzen – es könnten die Wiedergänger von Charles Mansons Sektenkommando sein. Unter dem Motto „Das Redesign des Satanismus“ laufen die Videosequenzen von Tobias Yves Zintel, zu denen Musiker Murena alias Daniel Friedel den zwischen Hardrock und Ambient oszillierenden Sound liefert. Junge Grufties markieren in Zintels Filmen die Enfants Terribles einer in unübersichtliche Gruppen gesplitterten Gesellschaft. Vor allem die nur auf den modischen Oberflächeneffekt abzielenden Satanisten werden ironisch ins Visier genommen.

Manches mag in der neuen Gruppenschau in der Lothringer13 ein wenig nach einem Schreckenskabinett des Schweizers Olaf Breuning aussehen. Doch trotz einiger Déjà-vus ist eine sehr eigenwillige Ausstellung entstanden. „Interesting Productions“ ist die Ausstellung mit gutem Grund betitelt: Vierzehn Tage lang produzierten, filmten, schnitten, sampelten, performten und hausten die drei Künstler Murena, Zintel und Bo Christian Larsson in der Städtischen Kunsthalle München. In der zweiten Woche wurden die Besucher mit Einlagen, Events und Performances beglückt, und nun kann man das Resultat der splitterhaften Produktionen bestaunen.

Nachts habe er zwar etwas wild geträumt, meint Larsson, aber eigentlich sei man in der Kunsthalle am Ende ganz heimelig geworden. Kein Wunder, denn das Künstlerlaboratorium gleicht einem mit Multimedia aufgerüsteten Camp, das von der Schminkkabine bis zur Koch- und Schlafstelle alle lebenswichtigen Dinge eines Performerdaseins bietet. Wer sich auf das Collagenwerk von audiovisuellem Material einlässt, wird mit immer wieder frappanten Einschüben belohnt. Von Phillip Mühlbauer etwa gibt es märchenhafte Schattenrissfilme, die den Murena-Klangfetzenteppich untermalen. Und Zintel wurde schon im dem Duo tourette-tv als begnadeter Bilderfinder bekannt. Man wundert sich, wo Zintel schon mitgewirkt hat: Von den Kammerspielen bis hin zu internationalen Musikfestivals reichen seine Engagements. Larsson wiederum kommt aus Schweden und wähnt nun in München das ideale Experimentierfeld. Seine aus den Requisiten der Videoperformances bestückten Plastiken sind mit einem merkwürdigen Dekorguss überzogen, der sich mal als eingetrocknete Zahnpasta, mal als Plastilinmasse entpuppt.

Könnte sein, dass die gerade wieder im Eindämmern begriffene junge Münchner Kunstszene von dieser Truppe wieder Frischblut bezieht. Denn eines muss man der rasanten Rocky-Horror-Fiction-Show bescheinigen: Sie zieht den Besucher so stark in den Groove der mit radikalalternativen Lebensentwürfen angereichenden Ausstellung, dass man am liebsten selbst für mindestens einen Tag das krause Setting bewohnen würde. Schade nur, dass die Vorbereitungsphase der „Interesting Productions“ im Informationskuddelmuddel der als Kunst im öffentlichen Raum etikettierten „Ortstermine“ untergegangen und nur von Insidern wahrgenommen worden ist.

Birgit Sonna

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© Lothringer13, Städtische Kunsthalle München
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