#1-1 #1-2 #1-3
#2-1

Paolo Marzocchi

Geboren 1971 in Italien. Paolo Marzocchi machte seinen Abschluss in Klavier, Komposition und Elektronische Musik. Er gewann zahlreiche internationale Preise und seine Werke wurden in Europa ebenso aufgeführt wie in Japan, Brasilien, Paraguay, Armenien oder den USA. Derzeit unterrichtet er Sound Design an den Universitäten von Macerata und Urbino. Er lebt in Italien.

Der 11. September ist ein seltsamer Knotenpunkt

im kollektiven Gedächtnis unserer Zeit. So gut wie jeder erinnert sich genau daran, womit er gerade beschäftigt war, als die Twin Towers einstürzten. Ich selbst befand mich in meinem Wagen auf der Autobahn. (…) Das Radio sendete unvorstellbare Nachrichten. Ich hielt bei einem Restaurant an und sah, dass drinnen der Fernseher lief. Ich trat rechtzeitig ein, um den ersten Turm einstürzen zu sehen. (…) Ich dachte, es müsse sich um irgendeinen Katastrophenfilm handeln.

Michal Kosakowski hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennengelernt. Zwei Jahre später arrangierte Joseph Denize ein Treffen mit dem Schriftsteller Goran Mimica, Michal und mir für ein Projekt, an dem wir arbeiteten; ein weiteres Jahr später regte er an, dass ich über Musik für einen kurzen Film über den 11. September nachdenken sollte.

Als ich das erste Mal die Bilder sah, war ich total fassungslos. Ich denke, dass jeder an die selben Bilder dachte, von diesem Tag vor fünf Jahren. Aber Michal hatte begonnen, sie zu sammeln, und sehr viel mehr aus ihnen zu machen. Ich begann über die Musik als eine Art Leim nachzudenken, der das heterogene Filmmaterial zusammenhalten sollte. Man sollte nicht merken, dass es in einer Szene regnet und in der nächsten nicht, oder dass auf einen Winter in den Frühsiebzigern ein paar Sekunden später ein Schachspiel im Central Park folgen würde, mit Spielern in den Kleidern einer späteren Dekade. Zudem wollte ich in gewissen Fällen in der Musik das „Hollywood Feeling“ beibehalten, zu Filmbildern des Genres. Also entschloss ich mich, „Stummfilmmusik“ zu schreiben, für Soloklavier. Der nackte Klang des Klaviers kontrastiert schroff mit der betäubenden Wucht der Bilder und verbindet sie miteinander. Es gibt das Gespenst von Hollywoods musikalischer Atmosphäre ebenso wie eine Hommage an die auf Ragtime basierende Musik der ersten Stummfilme. In gewissen Passagen wurden zu den akustischen Klaviernoten elektroakustische Klänge hinzugefügt, mit denen der Interpret interagieren muss. Die elektroakustischen Stellen kommen aus einem Stück namens „B1, Study for a Night-Crossing Journey“, das ich bereits zuvor komponiert hatte, und passten perfekt zur Atmosphäre des Films. Wir können durchaus sagen, dass unsere kollektive Reise durch die Nacht mit dem 11. September begonnen hat.

Paolo Marzocchi 2006

#2-3
#3-1 #3-2 #3-3
#1-1 #1-2 #1-3
#2-1
#2-3
#3-1 #3-2 #3-3
#1-1 #1-2 #1-3
#2-1
© Lothringer13, Städtische Kunsthalle München
#2-3
#3-1 #3-2 #3-3