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Mordquadrat mit 49 Feldern
Lothringer13: Die beklemmende Videoinstallation „Fortynine“

Münchner Merkur, Kultur, 20.02.2007

Erdrosselt, erstochen, erschossen. In den meisten Menschen schlummern Mordfantasien, ihre Lehrer sind die Medien. Das beweist Michal Kosakowski in seiner beklemmenden Videoinstallation „Fortynine“ in der Städtischen Kunsthalle München, Lothringer13. Der Eintritt ist daher nicht grundlos erst ab 18 möglich. Als Antwort auf die beunruhigende Parallelität von fiktiven Hollywood-Katastrophen und der Berichterstattung über die Anschläge vom 11. September schuf der 1975 in Polen geborene Wiener im vorigen Jahr die preisgekrönte Kurzfilmcollage „Just Like the Movies“. Jetzt geht er einen Schritt weiter: zur Eigeninszenierung von Gewalt und ihrer schlussendlichen Anklage an sich selbst.

Von 1996 bis 2006 hat Kosakowski 49 Verwandte, Freunde und Künstler – allesamt ohne jeglichen kriminellen Hintergrund – nach ihren Tötungsfantasien gefragt und diese dann gemeinsam mit den Befragten, als Täter oder Opfer, in eine filmfiktive Realität umgesetzt. Mal entstand daraus ein Massenmord in zwei Minuten, mal eine schier unendliche Geiselnahme.

Angeordnet hat Kosakowski diese Splatter-Loops dann als Sieben-mal-sieben-Mordquadrat in den 49 Feldern eines einzigen zweieinhalbstündigen Videos. Die sieben Todsünden bilden hier die diabolische Diagonale: Da tötet der Neid seinen erfolgreichen Kumpel auf dem Rummelplatz; da schaltet die Trägheit ihren Fernseher lauter, um die Misshandlung im Nebenzimmer zu übertönen.

Von den Todsünden abgeleitet sind auch die übrigen Titel bloße Schlagworte. „Schizophrenie“, „Intoleranz“, „Todesstrafe“ … Kosakowski reiht sie vom kindlichen Gewaltfilmzapping über Auftragsmorde und staatliche Tode bis hin zum manischen Selbstmord.

Doch die entscheidende reflexive Wirkung der Installation entfaltet sich erst in der komplett verspiegelten Geschlossenheit ihres Raumes. So sieht sich der Betrachter selbst zu allen Seiten von den endlos potenzierten Mordfantasien umgeben, in einem schwindelerregenden Teufelskreis zwischen medialer und realer Gewalt.

Teresa Grenzmann

49 Arten zu töten
Michal Kosakowskis medienkritisches Kaleidoskop inszenierter Gewalt in der Lothringer13

Süddeutsche Zeitung, Münchner Kultur, 19.02.2007

Erzähl mir deine Mordphantasien, und ich sage Dir, wer Du bist! Offenbar schlummern selbst in gemeinhin pazifistisch gestimmten Seelen wilde Meuchelgedanken, die sich förmlich Luft in einem Geständnis, einem Script oder einem Schauspielakt verschaffen müssen. Mit der Akquisition von Ideengebern und gleichzeitig Darstellern für seine Filme über Mordphantasien hatte Michal Kosakowski entgegen anfänglicher Befürchtungen jedenfalls kein Problem. Als sich in seinem Wohnort Wien mehr und mehr herumsprach, an welchem langfristigen Opus der polnische Künstler gerade arbeitet, drängte es bis dahin völlig unbescholtene Menschen aus unterschiedlichsten Milieus förmlich danach, inspirativ an einem der mordlustigen Drehbücher teilzuhaben.

Zehn Jahre lang trug Kosakowski (geboren 1975) das Projekt mit sich herum, produzierte hier und da immer wieder eine der zwischen 19 Sekunden und 11 Minuten dauernden Filme zu seinem vielteiligen Collagenwerk. 1998 stellte man ihn bereits im österreichischen Fernsehen als jenen jungen, waghalsigen Künstler vor, der dem tabuisierten Thema individueller Mordphantasien denkbar offen begegnet. Jetzt ist das mammuthafte Gesellschaftsmorden endlich vollbracht. Die 49 Filme mit kaltblütigen, fanatischen bis hin zu manieristisch ausgeklügelten Mordfällen sind abgedreht und zu einer Gesamtschau vereint. „Fortynine“ hat nun seine Premiere in der Lothringer13. Und auch der installative Rahmen sprengt bisherige Maßstäbe der oft genug nur ungenügend die normative Kinosituation nachahmenden Präsentation von Medienkunst. In einem Spiegelkubus schließt der polnische Künstler die Besucher ein und konfrontiert sie mit einer 49-fach aufgeteilten Projektionsfläche. Nicht mehr als zehn Besucher dürfen auf Filzpantoffeln das mörderische Filmkomplott betreten. Essen, Trinken oder auch Herumkauern auf dem gleichfalls verspiegelten Boden sind verboten.

„Ich wollte das gehäufte Morden in einem Umfeld zeigen, in dem sich der Zuschauer nicht sonderlich wohl fühlt,“ sagt Kosakowski. „Dadurch wird verhindert, dass man sich die Gewalt einfach so reinziehen kann.“ Und so verfolgt man stehend und mit angehaltenem Atem die von allen Seiten einprasselnden Tötungsakte und Massakrierungen. Blickt man zu seinen Füßen, glaubt man mitsamt der ins Endlose reflektierten Gewaltverbrechen gleich in den Orkus abzurutschen. Zäsuren zwischen den einzelnen, jeweils im Originalton gezeigten Filmen bildet ein kakophonisches Zusammenspiel aller Soundtracks. Dann zeigt ein dünner roter Rahmen, auf welche Geschehen mit mörderischem Ausgang sich die Konzentration zu richten hat. Nicht um die Verherrlichung von Gewalt geht es Kosakowski. Dazu bieten einem die kleinformatigen Filmbilder auch zu wenig Raum. Vielmehr möchte er demonstrieren, mit welcher Ausschließlichkeit der sich die Medien des persönlich verdrängten Thema des Todes bemächtigt haben und längst in unserer Vorstellung Regie spielen. Die Fallbeispiele legen den Fokus auf den mörderischen Plot ohne große Rahmenhandlung. Eine an „Fortynine“ beteiligte, professionelle Schauspielerin, die seit jeher an extremer Platzangst leidet, ließ sich nach ihrer fiktiven Ermordung filmen, wie sie aus einem Sarg via Mobilruf dem Scheintod zu entkommen sucht. Slapstickqualität hat ein Blutbad, das unter explizit gewaltbereiten Geistlichen in einem katholischen Nonnenkloster stattfindet. Alles ist gestellt, selbst die als „Amateuraufnahmen“ etikettierten Sequenzen zu einem fundamentalistischen Gewaltakt. Dann finden sich in einer Diagonale die sieben Todsünden wie Völlerei, Rache, Trägheit auf durchaus allltagsglaubwürdige Art gespiegelt. Man wird auf einige bekannte Gesichter stoßen: auf die österreichische Künstlerin Elke Krystufek etwa oder diverse Schauspieler. Und selbst Uli Aigner, die Kuratorin der Lothringer13, hat zusammen mit ihrem im nicht gerade gewaltfreien Fernsehen fanatisch herumzappenden Kindern eine Rolle übernommen.

Das Projekt sei relativ teuer gewesen (rund 40000 Euro), die Hälfte der Gelder habe sie aus dem Budget für „Ortstermine 2007“ bekommen, so Aigner. Da aus Jugendschutzgründen eine Präsentation im öffentlichen Raum am Ende schwer realisierbar schien, wurde die Ausstellung in die städtische Kunsthalle verlegt (zu sehen bis 25. März). Der finanzielle Aufwand und die Zitterpartie haben sich zweifelsohne gelohnt: „Fortynine“ gehört in seiner schonungslosen Facettierung des Phänomens, wie sich Gewalt in den Medien kollektiv in den Köpfen und individuell in der Psyche ablagert, zum Eindrücklichsten, was in der letzten Zeit zu sehen war. An der Schnittstelle zwischen bildender Kunst, Experimentalfilm und medialer Inszenierung entfaltet sich Kosakowskis künstlerisch neuartiges Spektrum. Nicht von ungefähr ist er bereits für seinen letzten Film „Just Like the Movies“ mit zahlreichen Preisen, auch auf Filmfestivals, bedacht wurden.

Parallel zur Ausstellung in der Lothringer13 wird am 8. März im ZKMax (20.00 Uhr) ein Einblick in das „Making of Fortynine“ gegeben.

Birgit Sonna

Einmaleins des Todes
Michal Kosakowskis „Fortynine“ in der Lothringer13

Abendzeitung, Kultur, 24./25.02.2007

Hat jeder Mensch Mordphantasien? Das behauptet der 31-jährige Wiener Medienkünstler Michal Kosakowski. Am Eingang seiner Videoausstellung „Fortynine“ steht ein Schild: Zutritt unter 18 Jahren verboten. Und das ist kein Scherz.

Für 80 000 Euro errichtet Kosakowski einen Kubus, dessen Innenwände sich gegenseitig ins Unendliche spiegeln. Eine Wand davon besteht aus 49 Feldern, auf denen jeweils ein Kurzfilm in Endlosschleife läuft. Jeder zeigt eine Variation des Themas gewaltsamer Tod: Mord und Totschlag, Suizid.

Im Alter von 10 Jahren drehte Kosakowski seine ersten Horrorfilme – „mit Unterstützung seiner Eltern“, wie er mit lässig österreichischem Tonfall erzählt. Populär machte ihn der Kurzfilm „Just Like the Movies“, der sich in Form von Hollywood-Schnipseln mit dem 11.09.01 auseinandersetzt.

1996 beschloss Kosakowski, Freunde, Bekannte und später auch Schauspieler nach ihren individuellen Mordphanatsien zu befragen. In zehn Jahren realisierte er 49 Kurzfilme, die alle unter einer Bedingung entstanden: Wer seine Fantasien preisgab, musste sie auch selbst im Film spielen. Ästhetisch und inhaltlich gab es keine Grenzen. Die Bandbreite reicht vom Amateurfilm und hollywoodreifen 35-mm-Produktionen bis zu Schwarz-Weiß-Arbeiten, von 19 Sekunden bis 12 Minuten.

Im Mittelpunkt stehen bizarre Selbstmorde, Internet-Verbrechen, Vergiftungen, Folter mit Baseball-Schlägern oder Massenerschießungen. Grausamkeiten, die nichts für zartbesaitete sind. Kosakowski betreibt aber keine Gewaltverherrlichung. Der verunsicherte Besucher sieht sich selber im Spiegel bei seiner Rezeption der Gräuel. Essen und Trinken sind nicht gestattet. Kosakowski greift den bequemen massenhaften Gewalt-Konsum aus den Medien an. Der Anblick von Gewalt soll wieder weh tun, das Leiden spürbar bleiben. Kosakowski ist – in Form einer Selbsterfahrung für den Besucher – ein brillant gestaltetes Anti-Abstumpfungsplädoyer gelungen.

Die zwischen Faszination und Ekel angesiedelten Besucherreaktionen animierten Kosakowski, noch zwei Kurzfilme über die Erfahrungen im Kubus in München zu drehen. Diese Filme und ein Making-of sind ab 9. März im ZKMax (Fußgängerunterführung Maximiliansstraße/Altstadtring) zu sehen.

Florian Koch

49 Mordphantasien
Videoinstallation in Lothringer13

Münchner Wochen Anzeiger, Freizeit & Kultur, 14.02.2007

Am 15. Februar eröffnet in der Städtischen Kunsthalle München, Lothringer13 in der gleichnamigen Straße und Hausnummer eine Videoinstallation von Michal Kosakowski, „Fortynine“ genannt. 49 Morde, ersonnen von Bewohnern der Welthauptstadt der Morbidität, Wien: 1996 begann Michal Kosakowski Verwandte und Freunde nach ihren Mordphantasien zu befragen.

Innerhalb eines Jahrzehnts entstanden so 49 Kurzfilme. Wesentlich ist, dass die Tötungsphantasien von den Befragten selbst umgesetzt und in den 49 Videos dargestellt werden. Kamera, Montage und Schnitt, Special Effects und Vertonung aller 49 Filme hat Kosakowski selbst bewerkstelligt. Erstaunlich die Gewaltphantasien, die tatsächlich samt und sonders von der medialen Allgegenwart expliziter Gewalt in Film und Fernsehen gespeist zu sein scheinen. Keiner der rund 160 Darsteller verfügt über ein Strafregister oder war je in derartige Gewaltverbrechen real involviert. Dennoch: Giftmord, Folter, Selbstmord, Hinrichtung, Ritualmord, Gewalt von und gegen Frauen, Männer, Kinder, sexuell, politisch oder durch geistige Abnormität motivierte Morde treffen unzensiert auf die Emotionen der Rezipient/innen.

Die Video-Installation ist bis 25. März zu sehen. Betritt man den vollverspiegelten Kubus mit den Ausmaßen von 5x4x3 Meter, sieht man sich einem, ins Unendliche nach allen Seiten gespiegelten, 49-teiligen HD Splitscreen gegenüber.

Florian Koch

Lothringer13: Michal Kosakowski

Applaus, Kultur-Magazin, März 2007

Wenn der Tod auf die Erde herabsteigen müsste, er würde mit hoher Wahrscheinlichkeit die Stadt Wien zu seinem „pied à terre“ machen. Morbide Wurstigkeit, grantelnde Melancholie und dann auch wieder ein unüberbietbarer Leichtsinn sind ihm angenehme Mitbewohner. Da kam ihm, dem Sensemann, ein Künstler auf die Schliche. Michal Kosakowski ging zunächst im eigenen Bekannten- und Freundeskreis auf Erkundungstour. Ließen sich nicht medial übersättigte Zombies finden, die bereit wären, zu ihren Rache-, Mord- und Totschlagfantasien zu stehen, ja sie ihm zwecks weiterer medialer Inszenierung zur Verfügung zu stellen? Und siehe da, im Laufe eines Jahrzehnts kamen deren 49 zusammen, die dieser Videoinstallation ihren Titel geben: „Fortynine“. Die mit Hilfe von mehr als 150 Darstellerinnen und Darstellern realisierten Mordfantasien bereitet der Morbiditätsexperte für die Städtische Kunsthalle mittels einer Installation auf, die aus einem voll verspiegelten, betretbaren Kubus mit den Maßen 5x4x3 Meter besteht. Ein Gruselkabinett auf der medialen Höhe der Zeit.

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© Lothringer13, Städtische Kunsthalle München
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