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Ansichten eines Klons
Das Leben, nichts als Show: „neonichts“ in der Lothringer13

Süddeutsche Zeitung, Münchner Kultur, 05.09.2008

Den Brief liest der junge Mann auf der Toilette. „Sehr geehrter Herr Auserkorener“ steht da, und weiter, dass ihn eine phantastische Reise erwarte: Absender anonym. Er betätigt die Klospülung, schlappt ins Schlafzimmer und legt sich ins große alte Eichenbett. Ja, er ist ein Jedermann par excellence: blass, Hornbrille, grau gekleidet, seitlich gescheitelt – und wohl eben deshalb „auserkoren“.

Denn in Matze Görigs neuem Film „neonichts“, der zurzeit in der städtischen Kunsthalle Lothringer13 zu sehen ist, geht es um Gleichförmigkeit und Identität, um das Eigene und das Andere, um Blicke und Bilder. Der Protagonist gerät in eine bizarre Welt, deren Personal unzählige Klone in schwarzen Anzügen sind. Sie arbeiten in einer Fabrik und sagen Parolen wie: „Je gleicher wir sind, desto weniger müssen wir uns selbst erfinden“ oder „Einheit macht klar“. Entsprechend liefert Görig eine One-Man-Show und spielt alle Figuren selbst – die Klone, den Jedermann, die Dame, den Clown; er ist Produzent und Produkt dieser absurd unheimlichen und unheimlich absurden Ultraordnung.

Diese Ordnung ist durchdrungen von cineastischen Verweisen: Figuren wie Orte sind hoch codiert. Der Staudamm gleicht jenem aus „James Bond – Golden Eye“, Regieanweisungen erinnern an die „Truman Show“, und wie „Barton Fink“ von den Coen-Brüdern spielt „neonichts“ in den vierziger Jahren, dazu sind die Protagonisten beider Filme eigenbrötlerische Kauze – so übersteigert normal, dass sie schon wieder nicht mehr normal sind. Ohnehin ist hier die Frage, was normal ist, und ob es gut oder schlecht ist, normal zu sein. „Gleichheit befreit“, sagen die Klone, und wenn alle gleich sind, sind alle normal.

Görigs Film ist stark selbstreferenziell. Das Leben ist eine Dauer-Show, die Darsteller erweisen sich als stereotype Hüllen. Sa sehen die Klone den Zuschauer an, als der aus der Perspektive der Überwachungskamera in den Fabrikraum blickt und spornen ihn mit Applaus an; da ist die Spiegelreflexkamera das Attribut des Jedermann, so dass er sich von Szene zu Szene ein Bild machen kann. Am Anfang steht ein Spiegel, gegen Ende tritt Görig als Regisseur auf, der das Storyboard ins Mikro spricht. „Ein altes Bett, absurde Handlungen.“ Dazu unnatürliche Schnitte – „Jump Cuts“, die die Protagonisten „springen“ lassen –, so wird die Konstruktion des Ganzen auch optisch lar. Görig, der bei Joseph Kosuth studiert hat, persifliert in diesem packenden 36-minüttigen Rausch die Funktionsmechanismen filmischer Dramaturgie. Die Räume der Kunsthalle leuchten in den schrillen Farben der 80er Jahre, Referenz an die substanzlosen Oberflächen, die im kollektiven Bildergedächtnis mir dieser Zeit verbunden sind. Düstere Zeichnungen des Künstlers sind außerdem in der ehemaligen Werkmeisterkabine zu sehen. Aber so lohnenswert ein Besuch auch ist, sollte man ihn sonntagsabends vermeiden. Zwar hat die „städtische Kunsthalle“ dann offiziell bis 20 Uhr geöffnet – mehrmals aber war die Tür vor 19 Uhr verschlossen. Da hilft dann auch die Klingel nicht.

Kati Thielitz

Das große Comeback

Prinz, September 2008

Die achtziger Jahre – wir erinnern uns an New Wave, neongrüne, pinke und schwarzweiße Muster. Inmitten solcher Oberflächen, in die Matze Görig die Räume des Lothringer13 taucht, sehen wir „neonichts“ – seinen neuesten Film. Ein Junge, ein Clown, eine Dame, das Volk. Der Film spielt in den vierziger Jahren, inmitten der angestrebten „Post-War-Ultraordnung“. In dem Kunstfilm geht es um Aufbau und Zerfall, Einbildung und Realität, Angst und Wiederholung.

eh

Matze Görig

Applaus, Kultur-Magazin, August 2008

Durch den Münchner Kunst-Underground wuselt er nimmermüde. Sein Name – Matze Görig – ist hier fast so bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. Matze Görig arbeitet an den Schnittstellen von Musik, Film und bildende Kunst. Fast immer ist in seine Arbeiten eine Weiche eingebaut, die von den gewohnten oder erwarteten Pfaden abzweigt. Wichtig ist ihm stets ein starkes performatives Element. Mal schminkt er sich das Gesicht weiß, um als eine Art Gespenst aufzutreten, bei anderer Gelegenheit lässt er sich in einer Galerie einmauern und arbeitet sich während der Vernissage wieder in die Freiheit vor. Jetzt steht eine Solo-Show in der Städtischen Kunsthalle in Haidhausen auf dem Programm. Das Projekt steht unter dem kryptischen Titel „neonichts“. Um den Überraschungseffekt nicht zu gefährden, nur so viel: Es werden Videos zu sehen sein. Unser abgebildeter Teaser gibt einen Vorgeschmack. Matze Görig ist in guter Blues-Brother-Manier auch im Auftrag des Herrn unterwegs.

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© Lothringer13, Städtische Kunsthalle München
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