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Ausstellung
Die Grenze überschritten

Münchner Merkur, Kultur, 05.03.2008

„Bei meinen Arbeiten geht es darum, Gemeinsamkeiten zu finden, keine Unterschiede“, sagt der mexikanische Performance- und Videokünstler Yoshua Okón (37). Er stellt jetzt in der Münchner Lothringer13 aus. Den Betrachter seiner oft sehr hart wirkenden Werke mag dies erstaunen: Gemeinsamkeiten mit einer Gruppe Neonazis, deren Traum es ist, durch Mexico City zu marschieren? Oder mit Polizisten, die sich in Machtposen werfen? Die Grenzüberschreitungen, mit denen Okón erste seine Protagonisten und später den Betrachter konfrontiert, verbinden vielerlei Gegensatzpaare. „Gemeinsamkeiten finden“ – das ist Okóns Versuch, hineingezogen zu werden in Leben und Träume fremder Menschen, die er auf der Straße anspricht, um künstliche Nähe oder echtes Vertrauen herzustellen.

Eine Kamera, ein Mikrofon oder eine weiße Atelierwand ermöglichen es ihm, den Beteiligten ein Schutzschild der Kunst zu signalisieren und sie gleichzeitig dokumentarisch zu entlarven. Scheinbar. Denn wie viel ist hier inszeniert, wie viel ist echt? Das liegt im irritierten Auge des Betrachters. Den passenden Münchner Raum hat man für Okón, der abwechselnd in Mexico City und Los Angeles lebt, lehrt und filmt, zweifellos gefunden: Ihm öffnet sich die Lothringer13 in aufregender räumlicher Kongenialität. Zu sehen sind in „subtitle“ sieben Videoinstallationen aus den letzten zehn Jahren. Darunter auch „Coyotería“ (2003), Okóns Hommage an Joseph Beuys’ Selbstversuch „I Like America and America Likes Me“, die gleichzeitig eine Richtigstellung ist. Den zahmen Wildhund, mit dem Beuys 1974 eine Woche lang in der New Yorker René Block Gallery lebte, ersetzt bei Okón ein mexikanischer „Coyote“. Umgangssprachlich für einen illegalen Zwischenhändler, den der Künstler symbolisch als Hund engagierte.

Yoshua Okón

In München, Nr. 7, 2008

Im Alltäglichen, scheinbar Banalen setzt auch Yoshua Okón an. Mit „subtitle“ zeigt die Lothringer13 sieben Videoinstallationen des 1970 in Mexico City geborenen Künstlers aus dem Zeitraum von 1997 bis 2007. Alle Arbeiten negieren das Gefällige und indem sie den Fensterblick in eine andere Realität verweigern, halten sie jedem Konstrukt von Wahrheit den Spiegel vor. So stehen sich in der Videoinstallation „Cockfight“ zwei einander anschreiende pubertierende Mädchen gegenüber und imitieren dabei ironischerweise eine sehr männliche Art des persönlichen Angriffs. Für „Lago Bolsena“ mobilisiert er rund 70 Personen eines sogenannten Problemviertels in Mexico City zu einer gemeinsamen Performance, deren filmische Dokumentation durch ungewöhnliche Standorte und Bildsetzungen ein sehr dichtes gesellschaftliches Porträt gelingt. „Orillese a la Orilla“ ist eine Serie von Videos, deren Protagonisten Polizisten von Mexico City sind und die verschiedene Strategien von Manipulation aufzeigen. Mitschnitte aus dem Polizeifunk und zufällig beobachtete Begebenheiten werden zum Material dieser Arbeit und auch „Coyoteria“ greift durch das Reinszenieren einer Performance von Joseph Beuys auf Vorgefundenes zurück. Yoshua Okón ist derzeit Gast in der Villa Waldberta, dem internationalen Künstlerhaus der Stadt München am Starnberger See. Die Werkschau seiner Arbeiten macht das Subversive seiner künstlerischen Position zugänglich. Er setzt konzeptionelle Rahmenbedingungen, gewährt den bisweilen zufällig auf den Plan tretenden Akteuren Freiräume und verdichtet die Mitschnitte im Nebeneinander zu Dokumentarischem und Reinszenierten zu einem sehr subversiven Gesellschaftsbild der Gegenwart. Das der Betrachter zum Komplizen der voyeuristischen Strategie wird, ist Teil des Konzepts und vermittelt ein Unbehagen, dem es gelingt, eingefahrene Sichtweisen ins Wanken zu bringen. Eine brillant von Uli Aigner kuratierte Ausstellung, mit der sie das neue Label – Kunsthalle München – in Fortsetzung und dichter Folge ausfüllt und auf hohem Niveau positioniert. Eine Kuratorenführung am 29. März und eine Katalogpräsentation mit einem Vortrag von Elisabeth Hartung am 24. April begleiten die Ausstellung.

Dörthe Bäumer

Yoshua Okón

kulturnews, Ausgabe München, Nr. 208, Februar 2008

Wir machen uns gerne lächerlich. Anders lässt es sich nicht erklären, warum jemand freiwillig in den Videos des Mexikaners Yoshua Okón mitspielt. Der Künstler bringt Sicherheitsleute zum Meditieren, Cops zum Tanzen und eine ganze Nachbarschaft dazu, sich wie ein Stamm Wilder aufzuführen. Aber es verleiht den Protagonisten wohl das Gefühl von Freiheit, sich wie in ihren wildesten Träumen aufzuführen. Bei der Ausstellung „subtitle“ stiften sieben von Okóns Videoinstallationen aus den Jahren 1997 bis 2007 zum Nachmachen an.

Was soll das?
Erwartung enttäuscht: der Videokünster Yoshua Okón in der Lothringer13

Süddeutsche Zeitung, Münchner Kultur, 27.03.2008

Yoshua Okón hat eine beachtliche Künstler-Biographie vorzuweisen. Ihn in das städtische Stipendienhaus Villa Waldberta am Starnberger See einzuladen und in der Städtischen Kunsthalle Lothringer13 vorzustellen, ist demnach durchaus begrüßenswert. Nur leider erfüllen seine in der Ausstellung gezeigten filmischen Installationen nicht ganz die Erwartung. Es fehlt den Werken meist der zündende Gedanke. So ist das Beste an der Mehrkanalinstallation „Lago Bolsena“ der Running Gag, dass die Darsteller aus der Kanalisation auf die Erde steigen.

Das verbindet sich vorzüglich mit der dem Film zugrunde gelegten Idee, dass sich hier Bewohner eines Problemviertels am Rande von Mexiko City, der Heimat des Künstlers, als Mitglieder eines von der Zivilisation abgeschnittenen Stammes darstellen sollen. Damit aber war die Phantasie des Filmemachers und der Laiendarsteller offensichtlich schon erschöpft. Noch weniger interessant sind zwei kopulierende Hunde, auch wenn einer ein gestylter französischer Pudel und der andere ein haarloser mexikanischer Straßenköter ist. Völlig ins Absurde gleitet die Situation schließlich ab, wenn Okón in „El Club de los Sábados“ mexikanische Nazis filmt. Man wird das Gefühl dabei nicht los, dass es sich um eine Farce handelt. Dass Menschen so freundlich doof und gleichzeitig gefährlich sein können, mag man kaum glauben. Völlig ins Leere läuft auch die sogenannte Seifenoper in einem Möbelgeschäft, „New Decor“ betitelt. Das wirkt so bemüht und selbst gestrickt, dass man damit keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken, geschweige denn ein Publikum fesseln kann. Geglückter sind da die kleinen Filme aus der Reihe „Orillese a la Orilla“, die Polizisten aus Mexiko City beobachten und belauschen. Erschreckendes und Komisches kommt da zutage. Ein spannendes Experiment gelingt Okón, wenn er die Performance von Beuys „I Like America and America Likes Me“, in der Beuys eine Woche mit einem Kojoten zusammenlebte, nachinszeniert. Im Unterschied zu Beuys ist hier auch der Kojote ein Mensch.

Aber dann wird der gute Ansatz durch dekorativ herumliegende Klamotten zunichtegemacht. Das alles greift ein wenig kurz, was man auch von „Cockfight“ sagen muss: Zwei Teenager üben sich in unflätigen Ausdrücken und Gesten. Sie erscheinen einem wie harmlose Kindergartenkinder, die alles nachmachen und nachplappern und einen Riesenspaß daran haben. Aber das zu vermitteln, war wohl nicht die Absicht. Es sollte wahrscheinlich eher schockierend sein. Dabei fragt man sich aber nur, worauf der Künstler denn eigentlich hinaus will.

Hanne Weskott

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© Lothringer13, Städtische Kunsthalle München
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