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Eröffnungsrede

Guten Abend.

Der Titel „Diving for Pearls (In Your Own Soup)“ hat sehr viele Bedeutungsebenen:

Erstens, ist dies der Titel einer Arbeit die Andrea Faciu bei einer Biennale vor zwei Jahren realisiert hat. Andrea, danke für den abgründigen Titel!

Zweitens bedeutet das wohl auch eine Einsicht in die eigene Existenz der hier beteiligten Künstler/innen. Dieses sich selbst überlassen sein in einer selbstkuratierten Show. Aber auch, dass man die wichtigsten, oder wertvollsten Dinge als Künstler/in eben bei sich selbst und in seiner eigenen Suppe findet. Eigene Suppe könnte jetzt heißen, die eigene Suppe des einzelnen Künstlers oder die Suppe, die diese internationale Künstlertruppe hier gemeinsam gekocht hat. Oder aber auch in Bezug auf den Ort der Lothringer13, der ursprünglich in den 80er Jahren von Künstler/innen besetzt wurde und irgendwie immer noch als experimenteller Ort jenseits einer direkten Marktlogik durchhält. Oder eben auch die Münchner Suppe, dass in dieser Ausstellung mehr als die Hälfte der Künstler/innen in München studiert haben, und hier auch die studentische Szene stark mitgeprägt haben.

Drittens ist natürlich der Titel auch als institutionskritisch einzuschätzen. Die Truppe versucht den Kanon Institution–Kurator–Künstler durch Machtaneignung und Selbstrepräsentation aufzubrechen, die mir als notwendig und legitim erscheint, will man ungefiltert die Entwicklungen in der zeitgenössischen Kunst zeigen.

Hier möchte ich auch gleich Sandra Filić und Carsten Recksik danken, die mir dieses Projekt vorgestellt haben, und im Vorfeld, meiner Beobachtung nach, die gesamt Organisation profimäßig erledigt haben, mit Hilfe von meiner neuen Assistentin Tanja Oster, die heuer im Jänner Sebastian Stein abgelöst hat. Dank auch an unsere Praktikantin Heidi Zach, die wiederum Tanja tatkräftig unterstützt.

Wenn ich schon jetzt bei der Danksagung bin, dann auch Dank an Herrn Gerhard Müller von der Bäckerei Rischart, der den Künstler/innen 1000 Euro Materialgeld spenden wird. Dank an die LFA Förderbank, die die Posteredition und den Katalog, der gegen Sommer zu dieser Ausstellung erscheinen wird, unterstützt. Dank auch an Mediamarkt, der uns die Flachbildschirme zur Verfügung stellt.

Aber der Dank geht vor allem an alle beteiligten Künstler/innen, die in den letzten Tagen nicht nur ihre Arbeiten hier realisiert haben, sondern den gesamten Umbau fast alleine bewältigt haben und sich wirklich alle gegenseitig zur Hand gegangen sind.

Nun zu den einzelnen Arbeiten.

Gleich am Eingang sehen Sie die Posteredition. Jeder der 14 Künstler/innen hat ein Poster realisiert. Diese Poster gibt es als Edition zu kaufen, um 100 Euro, oder aber einzeln zu unterschiedlichen Preisen. Die Liste liegt bei Herrn Hofmeister auf.

Paul Desborough zeigt im Bücherregal sein neustes Video „a rumble with time“. Der Film zeigt die Möglichkeit mit Plastiktüten durch Zeit und Raum zu reisen. Eine zweite Arbeit von Paul finden Sie im im großen Raum an der schmalen Wand, eine Auseinandersetzung mit Kandinsky, der Malerei und den Möglichkeiten der Erweiterung von Malerei.

Johannes Buss zeigt die poetische Arbeit „au dessus des viex volcans“, ein Ventilator, Goldfolie, ein Pool und ein Schwimmer. Die zweite Arbeit von Johannes Buss finden sie im langen Raum links mit dem Titel „federal defense“. Irgendwo zwischen Deutschlandfahne, Architekten, Schwanzers Kleeblattformen und kopulierenden Ikea-Tischen, sehen wir etwas wie konkrete Poesie fürs Auge. Heute Abend findet ein „Tableau vivant“ in dieser Installation statt.

Im ersten Raum rechts, an der Wand das Tryptichon von Michael Kruger, drei Fotos mit dem Titel „A.R. Dog & Death“. Michael Kruger inszeniert mittels Fotos eine Narration, die ihre Referenzen zur Malerei zieht.

Andrea Faciu zeigt eine neue Videoarbeit mit dem Titel „sketch for a caught vision“ also eine Skizze für einen eingefangenen Blick.

An der Rückwand des Raumes sehen wir die Arbeit von Tim Wolff „Utopia versus Utopia“. Die Graffities an der Wand erinnern wie Nachbilder im eigenen Auge an die Häuser die kaskadenartig in sich zusammenstürzen. Im Keller finden sie eine zweite Videoarbeit von Tim Wolff mit dem Titel „London Streets“.

Tobias Collier zeigt im Durchgang zur Halle „Cataclysmic Variable (Glühbirne mit Benzin gefüllt)“ und an der Wand links vor der Tür zum Treppenhaus zeigt er uns sein Kartenspiel. Er sammelt seit ca. drei Jahren einzelne Spielkarten von der Strasse auf und wird solange weitersammeln, bis er einen Satz Spielkarten komplett hat. Im Raum links finden sie auch drei Arbeiten von Nathan Barlex „diatonic sleep paterns“ – das Gehäuse einer Alarmanlage, das ein eigenes Äußeres entwickelt zu haben scheint, „6 day week“ zeigt bearbeitete Zeitungsseiten und das Gemälde trägt den Titel „rigidly yellow“.

Die Installation von Claudia Djabbari trägt den Titel „live and work“. Es ist ihr Blick, der den Alltag transformiert und in eine Form bringt, der Oberflächen erkennt und das Leben an sich in ein reines Gestaltungssystem überführt.

Philip Metz zeigt seine Skulptur „winterprotection for a sculpture that does not exist“, aus der Serie „no production production“. Hier in der Ausstellung funktioniert seine Skulptur zusätzlich auch als Raumteiler und durch die Position kommt Bewegung in die Statik des Raumes. Philip Metz zeigt auch im Keller eine Serie von c-prints mit dem Titel „of mimicry“, in der er, als Afrikaner verkleidet, in Dakar im Senegal spazieren geht und versucht, sich unter’s Volk zu mengen.

In der verdunkelten Meisterkabine ist das Video von Carsten Recksik zu sehen – der Titel ist „watercolor Hitler“. Carsten Recksik hat am Land in der Nähe von London eine Auktion heimlich gefilmt, wo tatsächlich original Aquarelle von Adolf Hitler verkauft wurden. Die Tatsache, dass Hitler eigentlich Kunst studieren wollte und nicht an der Wiener Akademie aufgenommen wurde, könnte eine Warnung vor dem Umgang mit schlechten Künstlern sein. Diese Auktion, diese Existenz von Hitler Aquarellen an sich hat etwas so dermaßen Unfassbares, das es dem Erzeugen von Antimaterie in Cern um nichts nachzustehen scheint. Drei weitere Arbeiten von Carsten Recksik finden sie im Treppenhaus. Es zeigt den Künstler im handgreiflichen Anteilnehmen an Werken anderer Künstler. Gehen sie dann weiter die Kellertreppe hinab, sehen Sie eine weitere Arbeit von Paul Desborough. Mit dem Titel „to poldley go“, ist die Möglichkeiten des Beamens, mit Hilfe von Malereigesten sind zu bestaunen.

Weiter unten im Keller, vorbei am Video von Tim Wolff und den Fotos von Philip Metz, finden Sie hinter dem schwarzen Vorhang die Installation von Ashley Gallant & Matt Chesney. Mit dem Titel „deaffiliated geheimbund münchen“. Die Bezüge sind vielschichtig und haben ihr Zentrum in der Auseinandersetzung mit Freimaurertum und dem Zentrum dieses Bundes, das aus Licht besteht. Ashley ist hier und ein Gespräch mit ihm führt Sie ein, in jene Tiefen, in die Sie Selbst bereit sind müssen, zu gehen.

Eine weitere Arbeit von Ashley Gallant finden Sie auch im kleinen Treppenabgang in der Halle. „100 variations“ bezieht sich auf ein gespiegeltes Portrait des Existenzialisten Jean-Paul Sartre, und es gibt drei weltberühmte Reden, dargestellt als einzelne farbige Images zwischen Glasplatten.

Zurück in der Halle. Hier sehen Sie an der linken hinteren Wand drei gerahmte Fotos von Jörg Obergfell. Die neue Architekturen zeigen aus einer Zeit, in der Margareth Thatcher eine neoliberale Gesellschaft geprägt hat. Die Fahne zeigt eine physische Realität an: den Wind. Und eine Fahne will auch immer Position und Nation oder Heimat behaupten. Von Jörg Obergfell stammt auch die kleine, aus Magazinen gefertigte Skulptur hier, an der Säule. Wir sehen eine Szene aus einem japanischen Zeitschriftenladen, wo drei Männer in Magazinen blättern. Tachiyomi werden in Japan jene Männer genannt, die nicht in Zeitschriftenläden gehen um Magazine zu kaufen, sondern sie einfach dort, vor Ort und im Stehen zu lesen.

Und nun zu Sandra Filić, die hier zwei Arbeiten zeigt. „Theos letztes Haus“ und „Modelle der Wirklichkeit 2“ zeigen zwei Ordnungssysteme. Sandra Filić nimmt die Theorien und Gestaltungsprinzipien des Architekten Theo van Duisburg für die erst genannte Arbeit, die letzte Behausung des Architektes auf. Sie überführt sie in einen Sarg, den sie für ihn entworfen und selbst gebaut hat. Im Video „Modelle der Wirklichkeit 2“ vollzieht Sandra Filić selbst das Leben eines Messies nach, der sein Zuhause als präzises Archiv beschreibt.

Und zu guter Letzt nun die beiden Videos von Rachel Russell. Ein animierter Tinman versucht zu tanzen, innerhalb seiner Möglichkeiten – eben nur ein Blechmann zu sein. Und zwei Clowns versuchen sich selbst im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu bewegen. Zu sehen sind männliche Clowns, weil der Clown ja immer männlich ist und der Ort ist ein Backstage-Ort, in dem das Publikum nur im Kopf der Clowns existiert. Rachel Russell sagt in dieser Arbeit etwas aus über den Kunstbetrieb und das Entertainment Value, das man als Künstler/in auf alle Fälle haben muss, wenn man gesehen werden möchte.

Nun, zum Schluss, möchte ich noch meiner Beobachtung Ausdruck geben: Was hier alle Arbeiteten trägt, ist die Entscheidung zur Institutionskritik. Sei es durch die Produktionsform einer solchen Ausstellung, oder das explizite Thematisieren des benützten Mediums oder das Kunstgenre, das hinterfragt oder erweitert wird, bis hin zur launig-analytischen Kritik der eigenen Existenz. Die Institutionskritik aus den 90er Jahren ist zum Selbstverständnis aller hier gezeigten Arbeiten geworden.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit und viel Spaß in der Ausstellung „Diving for Pearls (In Your Own Soup)“!

Uli Aigner 2010

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© Lothringer13, Städtische Kunsthalle München
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